Im 8. Sinfoniekonzert der Staatskapelle in der Semperoper gab es neben der Es-Dur-Serenade des 17jährigen Richard Strauss und der f-Moll-Sinfonie »La Passione« von Joseph Haydn die deutsche Erstaufführung des Oratoriums »Über Liebe und Hass« von Sofia Gubaidulina. Letzteres Werk der 85jährigen Capell-Compositrice erklang erstmals vor 14 Tagen im estnischen Tallinn und erfuhr nun die deutsche Erstaufführung in Dresden. Lang anhaltend gefeiert wurde das Oratorium auch hier und hinterließ einen tiefen Eindruck, vermittelte bewegende Gedanken zu Glaube, Liebe und Hoffnung. Eine große Besetzung mit dem MDR Rundfunkchor – perfekt wie immer – sowie Gesangssolisten von Sopran, Tenor, Bariton bis Bass und ein weit gefächertes Orchester eröffneten eine breite Palette an Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten. Und die erfahrene Komponistin nutzte sie intensiv, um auf fast szenische Weise die Sehnsucht des Menschen nach Frieden, Liebe zu Gott und Überwindung von Hass darzustellen.
Der Zorn Gottes, hier in einem groß angelegten Kampfbild, im Geiste des »Dies irae« erfasst, bildet den Höhepunkt der störenden Kräfte, die zurückgewiesen werden vom Streben nach Erlösung. Angedeutet in den Versen der Hoheliedtexte im Duett
von Sopran und Tenor bereitet es den Weg über das ‚einfache Gebet‘ des Franz von Assisi bis zur Pfingsthoffnung „O komm, Heiliger Geist“, dem Pfingstchoral, der allmählich als Hymne aufscheint, aber doch immer wieder schwindet, bis schließlich der Bass zum Wort greift und spricht: „O komm, Heiliger Geist, entzünde in mir das Feuer deiner Liebe“. Flehende, sehnsüchtige, aber auch fast szenische Klangbilder verlebendigen die meist aus den Psalmen kompilierten Texte, teils russisch, teils deutsch, aber auch französisch oder italienisch in der babylonischen Sprachverwirrung Pfingstens. Die chorischen Passagen werden teils ausgesungen, teils geflüstert und schaffen so eine szenische Atmosphäre, die auch von den vielfältigen Klängen des Orchesters von den Streichern über die markanten Blechbläser (mit Wagnertuben) bis zu den akzentuierenden Schlagzeugeffekten reichen und den Solisten einen sinngebenden Hintergrund sichern. Szenische Wirkungen entstehen auch dadurch, dass etwa die Sänger nicht nur auf der Bühne ihre Partien anbieten, sondern auch von den Logen des Proszeniums. Zuweilen werden Lichteffekte zur Vertiefung beigesteuert.
Camilla Nylund, Michael König, Thomas E. Bauer und Franz-Josef Selig gestalteten mit ausdrucksintensiven Stimmen ihre Partien, die wie der Gesamtklang vom Dirigenten Omer Meir Wellber treffend erfasst wurde. Die Komponistin, die vor wenigen Tagen ihren 85. Geburtstag feiern konnte, nahm selbst den Beifall bewegt entgegen und überzeugte sich, dass ihr Werk sein
Publikum gefunden hat.
Das Konzert wird heute ab 20.05 Uhr live über MDR Kultur übertragen.