Was konnte man nicht alles mit dem Weberschen »Freischütz« erleben: mal spielte die Story in einem Fleischkonzern, mal in einer Holzgroßhandlung u.a. In der neuen Inszenierung im Leipzigs Opernhaus wurde eine wirklich romantische Oper vorgestellt. Bereits am Beginn der Ouvertüre – etwas gedehnt und gerade dadurch unheimlich – entstand jene Geisterstimmung, die über dem ganzen Werk schwebt. Der Dirigent Christoph Gedschold, in Leipzig und Hamburg ausgebildet, vermochte mit dem Gewandhausorchester diesen romantischen Ton zu treffen. Der Regisseur Christian Götz, in Berlin und Wien aufgewachsen, hatte zur Verdeutlichung eine Tänzerin (Verena Hierholzer) engagiert, die als Vision des Samiel, des Bösen, überall dort hintergründig ins Bild kam, wenn es szenisch und musikalisch erforderlich war. Vielleicht geschah das manchmal zu oft und wirkte dann allzu vordergründig, aber es traf.
Die Kostümierung von Jessica Karge (Burgtheater Wien) schlug eine ganz natürliche, deutsche Volks- und Jägertracht vor, die der Stimmung des Volksstücks überzeugend entsprach. So passte auch der vorzüglich studierte Chor (Alexander Stessin), der übrigens in diesem Jahr sein 200jähriges Bestehen an der Leipziger Oper feiern kann, klanglich dazu. Die Angst vor dem Bösen ward spürbar, noch dazu Samiela immer präsent war. Nur wenn der Wald und die Jäger (einschließlich ihrer Hörner- und Männerchor-Klanglichkeit) in den Vordergrund traten, verschwand die Geisterwelt, die Max mit „finstren Mächten umgarnt“. Der in Lübeck ausgebildete Tenor Thomas Mohr konnte „diese Qualen“ mit wohltönend markanter Stimme umsetzen und fand in der aus Israel stammenden Sopranistin Gal James eine adäquate Partnerin. In ihren Szenen und Arien konnte sie mit samtfarbener Stimme „Leise, leise, fromme Weise“ eindringlich und zu Herzen gehend gestalten.
Da die Darstellerin des Ännchen (Magdalena Hinterdobler) nicht jene Lockerheit im leicht beweglichen und komödiantischen Spiel ausstrahlte, blieb auch Agathe zurückhaltend. Treibende Kraft war stimmlich und darstellerisch der Finne Tuomas Pursio als lebendig gestaltender Kaspar, der hier nicht nur als Bösewicht auftritt, dem die Samiela sichtbar im Nacken saß, sondern auch Max‘ Konkurrent im Kampf um Agathe und damit um die Erbförsterei war. Die Szenenbilder von Dieter Richter, der früher bei Harry Kupfer und Willy Decker assistierte, schuf eine einprägsame und einfache Bildfolge: Dorfsaal in der Schänke – Agathes Zimmer in der Försterei. Mit der Drehbühne konnte ein schneller Wechsel ermöglicht werden. Der Saal – und das war frappierend – war anfangs Ort des Probeschießens, bei dem Max verlor, wird dann zur Wolfsschlucht. Nebel wallen auf, Stühle, Tische und Bänke heben sich geisterhaft, eine große Baumwurzel umschließt Samiela. Spiegeleffekte ersetzen Massenauftritte der Höllengeiste, die Wolfsschlucht lebt. Und schließlich – wenn der Dampf verflogen – wird der Saal zum Ort des Probeschießens, bei dem, da sechs der sieben in der „Schlucht“ gegossenen Freikugeln verschossen sind, die verbliebene siebente des Teufels ist. Aber da die reine Jungfer Agathe einen Kranz geheiligter Rosen trägt, trifft diese teuflische Kugel nicht Agathen, sondern den Samieljünger Kaspar, der dem Bösen verfällt. Max wird – wie bekannt – vom Fürsten Ottokar (Jonathan Mitchie) als Schuldiger des Landes verwiesen. Aber der weise, hochgeachtete Eremit (Runi Brattaberg) mindert die Strafe zu einem Probejahr. Oratorisch schließt die Abend mit dem feierlichen Chortableaux, das noch einmal die Qualität des Chores feierlich nachweist.