Seit Freitag beginnen seine Zauber wieder zu binden, worüber die Meinung der Bürger jahrelang geteilt war: der Kulturpalast (‚Kulti‘ nennen ihn nur diejenigen, die auch schmerzfrei ‚Elphi‘ sagen) wurde mit einem Festkonzert der Dresdner Philharmonie wiedereröffnet.
Das Programm war klug abgemischt: es begann mit der Festouvertüre op.96, die Dmitri Schostakowitsch 1954 innerhalb von drei Tagen für ein Konzert zum Jahrestag der Oktoberrevolution schrieb. Das bombastische Stück, das man in seiner dramatischen Überspitzung eigentlich gar nicht mehr völlig ernst nehmen kann, nun zum runden hundertsten Jahrestag erneut aufs Programm zu nehmen, verwies leise ironisch gleichzeitig auch auf die (auch politische) Vorgeschichte des Kulturpalastes – besser jedenfalls, als das „Die Weihe des Hauses“ oder ähnliche Werke, die sich bei solchen Gelegenheiten anbieten, vermocht hätten.
Mit drei orchestrierten Schubertliedern schickte sich das Orchester dann an, den vielgepriesenen ‚Dresdner Klang‘ auszustellen, den sich die Philharmonie in den letzten Jahren öffentlich auf die Fahnen geschrieben hat. Von Bertrand de Billy, dem Ersten Gastdirigenten, wurde der unlängst als „warm, rund, profund“ und „bronzen“ umschrieben, „allerdings gepaart mit einem hohen Maß an Transparenz“. Es wäre hier sicher der falsche Ort, die Legendenbildung und allmähliche Besitzname des Begriffes durch das Orchester zu durchleuchten, sicherlich wäre es auch absurd, ihn in allen Werken und an allen Abenden zu suchen – aber hier, im warmen Orchesterklang, der den Gesang von Matthias Goerne samtig umhüllte, war doch zu erahnen, was mit ‚Dresdner Klang‘ gemeint sein könnte.
Dem Anlass, dem Ort, der Orchestergeschichte sozusagen dreifach geschuldet, krönte der Finalsatz der 9. Sinfonie Ludwig van Beethovens den Abend. Der MDR Rundfunkchor, eher ‚optisch‘ ergänzt durch einige ältere Mitglieder des Philharmonischen Kinderchores (Einstudierung: Michael Gläser bzw. Gunter Berger), umrahmte die Orgel, die die Rückwand des neuen Saales dominiert – vorerst ebenso nur optisch, da die klangliche Einrichtung des neuen Instruments erst im Sommer vollendet werden wird. Hier dürfen wir uns also schon auf weitere „Eröffnungskonzerte“ freuen, die den Klangfacetten der neuen Eule-Orgel gewidmet sein werden.
Und die Akustik?
Viele, viele Pausengespräche an dem nicht zuletzt durch die diversen Festreden langen Abend waren natürlich der Akustik gewidmet. Löst der Saal ein, was die Verantwortlichen des Umbaus zuletzt mantraartig wiederholt, was einzelne Orchestermitglieder öffentlich schon hoch gelobt hatten? Die kurze Antwort: natürlich! Allen Beteiligten, ob Publikum, Orchestermitgliedern, Dirigent oder kommunalen Geldgebern, ist klar, dass wir es hier zweifelsohne mit der besten Akustik der gesamten, fast 150 Jahre währenden Orchestergeschichte zu tun haben dürften. In jahrelanger, sorgfältiger Abstimmungsarbeit wurde sie gemeinsam mit ausgewählten Musikern zuerst einmal gedanklich skizziert („Was wollen wir?“), mit akustischen Parametern untersetzt und gemeinsam mit den Architekten in einem langen Prozess direkt auf die Wünsche des Orchesters zugeschnitten.
Die längere Antwort: es dürfte, wie es Chefdirigent Michael Sanderling im »Musik in Dresden«-Interview noch am Abend selbst formulierte, noch einige Jahre dauern, bis das Orchester sich an die Anforderungen des Saales gewöhnt hat und ihm auch durch und durch gewachsen ist. Natürlich ist ein „guter“ Saal auch eine Herausforderung für jeden einzelnen Musiker, kann und muss man in ihm doch an der Abstimmung der einzelnen Instrumentengruppen, in dynamischen Schattierungen des Klangs und nicht zuletzt beim Abstimmen der Beiträge jeder einzelnen Stimme innerhalb der Stimmgruppen viel genauer und klüger vorgehen als in einem Saal, der vieles verzeiht, aber auch kein Potential für eine solche Arbeit bietet. Eine erstaunliche Schwachstelle des Saales zeigten jedenfalls die Generalprobe (ich saß im 1. Rang, in der ersten Reihe, nicht weit vom Orchester) und das freitägliche Konzert (Parkett Mitte), wenn man denn überhaupt nach so kurzer Zeit eine vorsichtige Kritik üben mag. Zumindest auf einzelnen Plätzen innerhalb des Saales ist erstens die Abstimmung der Stimmgruppen in der vom Orchester gewählten Aufstellung unausgewogen: die Holzbläser, Blechbläser und Bässe sind allzeit präsent, während die hohen Streicher zwar klar durchhörbar, aber insgesamt deutlich zu leise erscheinen. Und zweitens erschienen in der momentanen Konfiguration des Saales die höheren Streicherregister insgesamt problematisch in ihrer Raumausbreitung zu sein. Das zeigte das Mendelssohnkonzert, dessen Solopart trotz des sichtlich (!) engagierten Spiels von Julia Fischer an den wenigsten Stellen klanglich überzeugen konnte. Der Klang der Solovioline schien sich in der Höhe des Raumes zu verlieren; ein direktes „Schall-Erlebnis“, wie es beispielsweise Konzerte in der Semperoper noch bis in den obersten Rang erstklassig und ohne Einbußen ermöglichen, blieb hier vorerst aus. Hier werden nun die weiteren Konzerterlebnisse der nächsten Monate und Jahre zeigen, inwieweit die akustisch-technische Konfiguration des neuen Kulturpalast-Saales optimiert werden kann und sich die Musiker und die Gast-Solisten auf dessen Herausforderungen einstellen können. Die Vorfreude auf diesen Prozess ist jedenfalls durch das Eröffnungskonzert geweckt. Dieser Saal verspricht ein echtes Klangjuwel zu werden.