Nachdem ich das Eröffnungskonzert im Rundfunk verfolgt hatte, gab es nun Gelegenheit, die Philharmonie original in ihrem neuen Konzertsaal zu erleben. Übers Radio hatte ich ja den besten Eindruck vom Mendelssohn-Konzert mit der Solistin Julia Fischer! Sehen konnte man nichts, da das MDR-Fernsehen eine Übertragung dieses Ereignisses in der Stadt, die sich als Kulturhauptstadt bewerben möchte, erstaunlicherweise nicht in Erwägung gezogen hat. Nun aber erlebte ich den Saal „live“, und das noch dazu mit Marek Janowski, der von 2001 bis 2003 als Chef des Orchesters wirkte und die Stadt verließ, nachdem klar war, dass ein neuer Konzertsaal nicht in Aussicht stand.
Fantastisch anzusehen ist der Saal, modern und von Akustikern penibel ausgemessen. Tatsächlich erwies sich der Klang zu Beginn des Bruckner-Konzerts vom vergangenen Wochenende als berückend und wunderbar. Himmlisch schwebten die Töne der e-Moll-Messe mit den ausgezeichneten Sängern des MDR-Rundfunkchores im Raum. Gelegentlich traten Bläser der Philharmonie (Oboen, Klarinetten, Fagotte und ein voller Blechsatz) akzentuierend hinzu. Das Frühwerk des damaligen Linzer Organisten von 1866 hat sich in der ursprünglichen Form auch in der 3. Fassung von 1882 nicht wesentlich geändert (der Komponist hatte inzwischen fünf Sinfonien komponiert, die sechste war in Arbeit). Marek Janowski mied in der Messe jeden Anklang sinfonischer Zuordnung. Stille herrschte, auch am Schluss dieser vollendeten Gestaltung eines Werkes, das die traditionellen Fugensätze bisheriger Messkompositionen aussparte, aber von schlichter, ergreifender Religiosität geprägt ist. Von alldem ist in der VI. Sinfonie, die 1882 skizziert und 1899 von Gustav Mahler in gekürzter Fassung uraufgeführt wurde, davon nichts zu spüren. Es ist jene gewaltige Klangsprache Bruckners, wie sie auch die formale Gestaltung der Sinfonik des Wiener Meisters im Allgemeinen trägt. Janowski dirigierte auswendig, hatte das Werk und die Philharmoniker voll im Griff.
Der erste Bruckner im neuen Saal offenbarte aber auch akustische Probleme. Sowohl das Publikum als auch das Orchester sucht klangliche Ausgewogenheit. Die Streicher (voll eingesetzt) wurden klangvoll getragen, auch die Soli der Bläser ordnen sich schmiegsam ein. Der volle Blechsatz aber – und der ist an Höhepunkten bei Bruckner gestalterisch wesentlich – lässt eine Verschmelzung der romantischen Klanglichkeit vermissen. Vielleicht hat das Orchester hier noch Entfaltungsmöglichkeiten. Interessant dürfte es werden, Mahlers »Sechste« am nächsten Wochenende im neuen Saal zu hören; denn für Mahler ist weniger Verschmelzungsklang das Ziel, sondern ein die Struktur herausstellender Spaltklang.