Gustav Mahler hatte in den frühen vier Sinfonien volkstümliche Texte aus »Des Knaben Wunderhorn« aufgenommen und sinfonisch ‚ausdiskutiert‘, und landete in der Vierten beim finalen Elysium in einem Kindertraum. Das zwang ihn, mit der Fünften zu einem Neubeginn rein sinfonischer Gestaltung zu greifen. Dieser vom Komponisten als „Lied vom irdischen Leben“ gekennzeichneten cis-Moll-Sinfonie von 1902 folgt mit der Sechsten das „Lied von der Einsamkeit“, die „Tragische“, die er sein „allerpersönlichstes Werk“ nannte. Ihr Schicksalsthema ist symptomatisch: lässt einen A-Dur-Dreiklang auf Paukenrhythmen erklingen, der heruntergezogen wird nach a-Moll.
Im Philharmoniekonzert vom Wochenende mit Marek Janowski wird anfangs weniger auf dieses immer wieder zitierte niederdrückende Motiv orientiert. Dafür erhält der 1. Satz Allegro energico (heftig aber markig zu artikulieren) einen vorwärtsdrängend kämpferischen Marschcharakter von packender Intensität. Nur gelegentlich bringt ein Seitenthema von zurückhaltend, ja tröstlicher Haltung. Manche Betrachter meinen, dass hier (wie schon im Adagietto der Fünften) das Bild seiner jungen Frau Alma, die er als 42-Jähriger 1902 geheiratet hat, aufklingt. Trostspendend ist dieses Thema in der Tat, ohne den vorantreibenden Grundton aufzugeben. Mahler – inzwischen Direktor der Wiener Hofoper – wird, obwohl er zum christlichen Glauben konvertierte, als Jude angefeindet, muss sich immer wieder durchsetzen. Etwas von dieser Atmosphäre lebt in diesem aggressiven Satz und zeigt sich voll Spannung in der zupackend klaren Gestaltung des Dirigenten. Selbst im 2. Satz, Scherzo, geht erst allmählich dieser Druck verloren, um den volkstänzerischen Ländler-Motiven Raum zu geben. Ruhe, Frieden trägt das melodisch geprägte Andante mit Klängen himmlischer Ruhe des Celesta. Das Finale entfacht noch einmal ausdauernd die kämpferische Auseinandersetzung. Themen aller Sätze werden aufgenommen, um den tragischen Grundzug zu aktivieren. Zweimal gebieten schicksalhafte Schläge mit einem Holzhammer Einhalt. Eine tiefe Tragik, die Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit ausstrahlt, prägt den Satz, obwohl Marek Janowski mehr auf Widerstand orientiert. Ein dritter Hammerschlag, den der Komponist wieder strich, hätte diese Stimmung vertieft. Harfenklänge rauschen auf, öffnen am Ende friedlichere Töne, aber der Schicksalsklang bleibt.
Mit einer markanten Schlussgeste reißt die Musik ab. Tief bewegt schwieg das Publikum, bevor es den Dirigenten und das Orchester feierte – für eine Interpretation, die die eigenwillige Instrumentierung des Mahlerschen Werkes mustergültig aufzeigte. Der unvergessliche Abend offenbarte erneut, welche Klangwirkungen der neue Saal ermöglicht.