„Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“ Als er diesen wunderbaren Satz geprägt hat, da konnte Victor Hugo von der Weisheit der Stadt Dresden verständlicherweise noch nichts ahnen. Victor Hugo lebte in Frankreich und nicht im Dunst des Elbtals, er atmete den Geist von liberté, égalité, fraternité und nicht den Mief von August, Biedenkopf, Tillich. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass er sich an französischem Roten labte und seine Galle nicht mit dem Sud essigsaurer Rosinen von nördlichen Elbhängen verbittern musste, die besser für Apfelplantagen getaugt hätten. „Ohne Musik ist das Leben ein Irrtum,“ wusste auch Friedrich Nietzsche, der mit Saurem von Saale und Unstrut ebenso vertraut gewesen sein dürfte wie mit den lutherischen Klängen seines pfäffischen Vaterhauses in Röcken.
Wir aber leben im 21. Jahrhundert nicht „nach Christus und/oder Christo“, sondern unserer Zeitrechnung, da gelten für die Musik ganz andere Maßstäbe. Nicht etwa libertäre, wie gut einhundert Jahre zuvor, sondern streng reglementierte! Zumindest, wenn es um Straßenmusik geht. Denn die fällt noch immer unter das Paradigma eines Wilhelm Buch: „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden.“ Das hat sich längst auch in Dresden herumgesprochen, wo bekanntlich alles und alles ein klein wenig länger dauert. Sogar die Reglementierungen. Zuerst war die Musik, dann hat sie genervt, schon kam die Beschwerde – und das kommunale Prozedere nahm seinen Lauf. Als sich die bürokratische Gängelei der Straßenmusikanten als absolut lebensfremd und unrealistisch erwies, knobelten die Tüftler im Rathaus andere Schachzüge aus – und nahmen Bauernopfer selbstredend in Kauf.
Ergebnis: Tüchtig Streit, eine nur mäßig kaschierte Blamage sowie nun endlich die Spielgenehmigung als App. Letztere soll 25.000 Euro Entwicklungskosten verursacht haben. Bis eine solche Summe auch nur ansatzweise auf den Straßen eingespielt ist, müssen das musikantische Repertoire ebenso wie die Leidensfähigkeit von innerstädtischen Anwohnern und Gewerbetreibenden noch deutlich ausgeweitet werden. Aber mit fremdem Geld lässt sich ja trefflich streiten: darin haben Kommunen, Länder und der Bund beste Erfahrungen sammeln können.
Legt man die Verantwortlichkeit für künstlerische Aktivitäten (vulgo für „Sondernutzung des öffentlichen Verkehrsraums“) dann noch in die bürokratischen Hände des Dresdner Straßen- und Tiefbauamtes, ist die Misere geradezu vorprogrammiert. Wir erinnern uns an Spitzenleistungen dieser offenkundig nicht von einem Profi verwalteten Apparatur, etwa das hölzerne Rutschfest auf der Behelfsbrücke für Radler und Fußgänger (wie hätte man auch ahnen können, dass es oberhalb der Elbe zu Feuchtigkeit kommt!), dem freilich die stählern erhöhte Bewehrung der Albertbrücke gegenübersteht. Nachhaltig am lustigsten war aber die amtsleiterische Begründung, gegen Ende des Winters vorsorglich den Split auf der Augustusbrücke liegenzulassen. Es könne ja zu neuen Schneefällen kommen. Dass die den Split überdecken würden, kam ihm offenbar nicht in den Sinn. Einen solchen Könner nun über die Straßenmusik entscheiden zu lassen, zeugt – wieder einmal – von der Weitsicht im Elbtal. Da drängt sich doch die Frage auf, was diese Stadt daran hindert, wenigstens einmal mit Profis zu arbeiten?