Die Förderverein der Dresdner Philharmonie, der sich in den letzten Monaten im Wesentlichen um die Finanzierung der neuen Orgel sorgte, hat gestern ein letztes Benefizkonzert für das Instrument veranstaltet. Das Fördervereinsorchester aus Laien sowie jetzt noch wirkenden oder ehemaligen Mitgliedern der Philharmonie bot ein vielfältiges, klangschönes Programm. Es blieb etwas im Charakter eines Renaissance-Ragout verhaftet. Der Oboist Guido Titze hatte Hans Leo Haßlers Canzonen für kraftvolles Blech bearbeitet. Das war wirkungsvoll, aber stilistisch fragwürdig. Ein Pasticcio von Motetten des englischen Komponisten Thomas Tallis aus dem 15. Jahrhundert war gekoppelt mit der großangelegten »Fantasie« über eben dieses Thema des Renaissancemeisters von Ralph Vaughan Williams aus dem Jahre 1910. Das Ineinandergreifen von Philharmonischem Chor, Herren des bischöflichen Gymnasiums Graz sowie den Streichern des Orchesters und einem Fernorchester im 3. Rang war unter der Leitung von Wolfgang Hentrich tief beeindruckend. Das Besondere des Konzerts aber war nach zwei Orgelstücken mit Holger Gehring das Finale der Sinfonie »Gloria« von Jean Louis Nicodé. Der Komponist und Dirigent rief 1885 die »Philharmonischen Konzerte« des Gewerbehausorchesters ins Leben. So wurde er einer der Urväter der heutigen Dresdner Philharmonie.
In der Elbestadt kam der aus dem Pommerschen stammende Hugenotte 1878 als Klavierbegleiter der berühmten Sängerin Desirée Artot. Das behagte ihm nicht sonderlich; in einem Brief schrieb er, dass die konventionelle, „verkalgende Dresdner Luft“ ihm, dem Vertreter einer Neudeutschen Schule um Franz Liszt und Richard Wagner, die Luft zum Atmen nehme. Vier Jahre vermochte er die Philharmonischen Konzerte in breiten Konzertprogrammen zu realisieren, dann gab er auf und zog sich in sein Eigenheim nach Langebrück zurück. Dort gibt es auch heute noch eine Nicodéstraße (eine weitere Nicodéstraße in Blasewitz wurde, um Verwechslungen vorzubeugen, 2004 in Hans-Böhm-Str. umbenannt). Hier entstanden auch seine letzten Werke: pantheistische, naturverbundene, wie auch seine Sinfonie »Gloria«, aus der im Konzert das Finale „Der neue Morgen“ für eine Knabenstimme, Chor und wahrhaft großes Orchester erklang.
Wie hier Wolfgang Hentrich die Klangmittel in großartiger Steigerung zu führen vermochte, war fantastisch! Nach der Mahlerschen »Achten«, der »Sinfonie der Tausend« vor wenigen Wochen, war hier am Beginn des 20. Jahrhunderts eine ganz andere Klanglichkeit am Werke, und eine äußerst interessante. Etwas Mahler lugte da hervor, wenn auch die Musiksprache sich ganz anders äußert, mit einem wunderbaren Englischhorn-Solo von Isabel Kern, mit ungewöhnlichen Klangeffekten mit Trillerpfeifen für aufgeschreckte Spatzen und vielfältigen anderen Vogelstimmen. Das Publikum feierte begeistert diesen Einblick in ein Werk, das am Anfang des 20. Jahrhunderts wohl einige Male gespielt wurde, danach jedoch in Vergessenheit geriet. Die Wiederentdeckung würde sich auf jeden Fall lohnen!