An einer Berliner Hochschule soll dieses 1951 zu Papier gebrachte Gedicht von Eugen Gomringer übertüncht werden:
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
Bislang stehen diese Zeilen gut sichtbar an der Fassade der Bildungseinrichtung geschrieben. Auf Deutsch bedeuten sie in etwa:
Alleen
Alleen und Blumen
Blumen
Blumen und Frauen
Alleen
Alleen und Frauen
Alleen und Blumen und Frauen und
ein Bewunderer
Das letzte Substantiv verrät: es ist ein maskuliner Blick, der sich auf die Alleen, die Blumen sowie auf die Frauen richtet. Würde ein weibliches Wesen die Alleen, Blumen und insbesondere die Frauen bewundern, dann hätte die ganze Posse womöglich gar nicht erst stattgefunden. Dieser Perspektivwechsel aber macht die Verlogen-, nein: Verschrobenheit des Ganzen erst deutlich. Es geht nicht darum, dass Alleen, Bäume und Frauen poetisch bewundert werden, es geht um den Bewunderer, einen Mann. Ist der womöglich pervers? Degradiert er die Frauen (und auch die Bäume) zu Dingen? Zu Gebrauchsgütern wogar? Man kann nur den Kopf schütteln. Leute, das ist konkrete Poesie, das sind Worte eines Poeten, der bewundert, was bewundernswert ist!
Dagegen tobt jetzt schon seit langem ein heftiger Streit, der nun insofern abgewürgt wurde, als dass entschieden ist, die Fassade aller fünf Jahre mit neuem lyrischen Inhalt zu bedecken. Wenn dieses Beispiel indes Schule macht, wird es bald schon vorbei sein mit Liebesleid und Liebesglück auf der Bühne. Wer wird sich dann noch freiwillig Mozarts »Le nozze di Figaro« anschauen, von »Don Giovanni« zu schweigen? »Così fan tutte« – so machen’s alle?! Womöglich klingt Do-re-mi-fa-so-la bald nach Do-re-fa-so-la-me-too? »La Bohème« geriete auf den Index, »La traviata« müsste als überaus anzüglich mindestens ebenso abgestraft werden. Die Semperoper ist da schon einen Schritt weiter und lässt den Lobgesang eines freudianisch tüchtig durcheinandergeratenen Liebhabers und Bewunderers (also wieder eines Mannes!) auf seine verstorbene Geliebte sowie auf ein ihr bis aufs Haar (Achtung: blond!) gleichenden Wesens aus den Spielplan verschwinden. Nur noch ein einziges Mal (am 2. Februar) soll »Die tote Stadt« von Erich Wolfgang Korngold zu erleben sein. Dabei hatte sie erst kürzlich Premiere und zählt zu den gelungensten Produktionen jüngerer Zeit. Also unbedingt hingehen!
Und auf dem Weg dahin die Haltestellen der Dresdner Verkehrsbetriebe mit Verachtung strafen. Die DVB-Werbestrategen können sich jetzt nämlich warm anziehen mit ihrer altbackenen Sprücheklopferei für den leicht betüterten Feierabend-Fahrer („Nur Casanova kam öfter“). Ein Fall für die Sittenpolizei!