Den ersten »Salome«-Skandal gab es im Dezember 1905 zur Uraufführung dieser Oper von Richard Strauss am damaligen Hoftheater in Dresden. Vermutlich haben sich Teile des Hofes in der über Leichen gehenden Selbstherrlichkeit von Herodes und Herodias gespiegelt gesehen, zumal es ja drunter und drüber geht in dieser vom Skandalautor Oscar Wilde angelegten Persiflage um Macht, frömmelnden Wahnsinn, königlicher Notgeilerei und weiblichem Spiel mit den Reißen. Dazu dann noch diese Musik! Eine geradezu anarchisch behandelte Tonsprache mit brutalem Einschlag ins Disharmonische, erotisch aufpeitschend mit kopflastigen Fall-Beispielen.
Der unselige Preußen-Kaiser Wilhelm II blamierte sich mit einer seiner vielen Fehleinschätzungen, indem er meinte, mit der »Salome« würde sich Strauss „furchtbar schaden“. Dem Komponisten, ansonsten bekanntlich opportunistisch bis zum Unerträglichen, war’s egal, er erwiderte darauf in einem Rückblick, „von diesem Schaden konnte ich mir die Garmischer Villa bauen!“
Ob der Schaden, den sich Maestro Christoph von Dohnánayi kürzlich in Berlin an der Staatsoper Unter den Linden eingehandelt hat, ebenfalls zum Hausbau reichen würde, ist zu bezweifeln. Der Dirigent übernahm die Einstudierung einer neuen »Salome« am gründlich renovierten Haus, nachdem sich der ursprünglich dafür vorgesehene Zubin Mehta verletzt hatte. Just vor der Generalprobe, also nur drei Tage vor der Premiere am 4. März, schmiss Dohnányi hin und überließ das Strauss-Feld dem gerade erst 24jährigen Thomas Guggeis. Der, kürzlich noch Assistent von Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, wird zur nächsten Spielzeit als Kapellmeister ans Staatstheater Stuttgart gehen. Mit der Berliner »Salome« schlug er sich wacker.
Wo aber die Ursache der „unüberbrückbaren Schwierigkeiten“ zwischen Christoph von Dohnányi und Regisseur Hans Neuenfels gelegen haben mag – in der nun fiebernd erwarteten Premiere sah man es nicht. Altersweise inszenierte Neuenfels das sängerisch auf durchweg bestem Niveau besetzte Stück flott vom Blatt, sein Riesendildo, in dem der alsbald geköpfte Wunderwanderprediger Jochanaan gefangen gehalten worden ist, taugte allenfalls zum Kopfschütteln ob der etablierten Altherrenverklemmtheit. Dass Neuenfels einen seine Hoden aus dem Anzug hängen lassenden Oscar Wilde als Kunstfigur in Szene setzte, nun ja. Jüngeren Regieteams würde das um die Ohren gehauen werden, zumal das „beste Stück“ fehlte, aber darin saß ja der Gottesnarr fest.
Die Oper Leipzig macht nun aus dem Skandal eine Tugend und setzt »Salome« im Rahmen des Jubiläumswochenendes zum 275jährigen Bestehen des Gewandhausorchesters als Festvorstellung an. Danach kann die Inszenierung von Aron Stiehl in der Ausstattung von Rosali erst wieder im kommenden Jahr gesehen werden.
Und am Uraufführungsort Dresden? Hier hat die Michael-Schulz-Inszenierung erst wieder in der nächsten Spielzeit das Zeug zum Skandal – oder auch nicht. Omer Meir Wellber, der neue Erste Gastdirigent der Semperoper, dirigiert hier die originalen Orchesterstimmen der Uraufführung. Das einst so „herrlich“ Dekadente dieser Musik ist heute schon längst nicht mehr dekadent. Aber die Verkommenheit „bei Hofe“, die den eigentlichen Hofnarren im theatralen Spiegel stets so bitter ausstößt, die kann gar nicht oft genug reflektiert werden. Sie ist der eigentliche Skandal.